III. Nachtprojektor

Nebenbei: Meine wortwörtlich größte Erfindung war eine ganz andere – nämlich die Nutzung des Nachthimmels als Projektionsfläche. Meine Idee ging auf Vesto Melvin Slipher zurück, der 1929 als Leiter des Lowell Observatory in Flagstaff, Arizona, die Natriumschicht in der oberen Atmosphäre entdeckte (ebenso entdeckte er die Rotverschiebung der Galaxien, die Edwin Hubble später mit der Entfernung dieser Galaxien korrelierte und zur Grundlage seiner Theorie über die Expansion des Universums machte). Die Natriumschicht ist ein Bereich der Mesosphäre, der sich typischerweise in einer variablen Höhe zwischen 80 und 105 Kilometern Höhe befindet und eine maximale vertikale Ausdehnung von ca. fünf Kilometern aufweist und in dem sich ungebundene, nicht-ionisierte Natriumatome befinden. Darüber ist Natrium nur in ionisierter Form zu finden, darunter nur in gebundener, meistens als Natriumoxid, oder noch tiefer, im Meer, als Natriumchlorid – aber das Meer zählt kaum jemand zur Atmosphäre, außer vielleicht die Klimawissenschaftler. Manche von ihnen meinen, die Atmosphäre und die Ozeane seien nur ein einziges, in Abhängigkeit der Dichte geschichtetes Fluidum: Wasser unten, Luft oben, mit einem abrupten Phasenübergang dazwischen. Wenn man das recht überlegt, kann man es durchaus so sehen. Wie dem auch sei: Die Natriumschicht entdecke Mr. Slipher dank des schwachen gelblichen Nachtglühens der natriumeigenen 588,99 nm und 589,59 nm Wellenlängen, in denen diese Schicht strahlti. Der Ursprung dieses Fundes wurde 1939 von Sydney Chapman erklärt, der einen Reaktionszyklus ersann, mit dem sich die Anwesenheit des Natriums in dieser Höhe nachvollziehen ließ. Das Natrium stammt demnach aus dem Abrieb von Meteoriten. Es wird später noch interessant sein, in Erinnerung zu behalten, wie lange Meteoritenstaub in der Atmosphäre schweben kann, wie fein dieser Staub verteilt wird und wie er nach und nach auf die Erde herunterrieselt.

Jahre später wurde diese Schicht genutzt, um künstliche Sterne in den Himmel zu projizieren, um damit die adaptive Optik fortschrittlicher Teleskope zu justieren: Mit einem Laserstrahl der richtigen Wellenlänge angestrahlt, eben besagten 588,99 nm oder 589,59 nm Natriumlinien, leuchtet diese Schicht hell auf, da Emissions- und Absortionsfrequenz identisch sind. Wenn man die Verzerrungen korrigiert, die die flimmernde Atmosphäre bei diesem Punkt, dem künstlichem Leitstern, wie die Astronomen sagen, verursacht, kann man auch die Verzerrungen korrigieren, die die dahinter liegenden Sterne blinken lassen und die astronomische Beobachtung erschweren – das bekannte Flimmern der Sterne. Diese Korrektur erfordert viel Rechenleistung und schnell reagierende Teleskopspiegel, ist aber viel billiger, als die Teleskope ins All zu schießen, wie beim alten Hubble, und funktioniert sehr gut. Die Astronomen müssen die Rechner, die die Korrekturspiegel steuern, natürlich so programmieren, dass diese berücksichtigen, dass der Leitstern im Vergleich zu den zu beobachteten Sternen doppelt verzerrt wird: einmal, wenn der Laserstrahl hochgesendet wird, und ein zweites Mal, wenn der künstliche Leitstern zur Erde zurückleuchtet. Es wird wohl niemanden überraschen, dass sich bei wissenschaftlichen Unternehmungen ein bisschen Nach-, Mit- und Vorausdenken als zielführend herausstellt. Wie sonst im Leben auch. Zuerst wurde dieser Leuchteffekt bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts am Starfire Optical Range in New Mexiko für militärische Zwecke genutzt, erst in den 90ern wurde es für zivile Teleskope eingesetzt. Ich weiß übrigens nicht, welche militärischen Zwecke die Herren des Starfire Optical Range im Kopf hatten, sie sind natürlich streng geheim.ii War sicher nichts Gutes, selbst wenn ich ehrlich zugeben muss, dass mir keine militärische Anwendung einfällt, bei der man schwaches Licht aus der oberen Atmosphäre zur Vernichtung des Gegners einsetzen soll…

Mein Ansatz war eigentlich sehr einfach, obwohl technisch, vor allem wegen der benötigten Laserleistung, nicht ganz unproblematisch in der Umsetzung: Wenn man einen einzelnen Punkt in der Mesosphäre mittels eines optischen Lasers zum Leuchten anregen kann, dann kann man auch viele Punkte anregen und zwar so, dass man sie nach Belieben an- und ausschaltet. Die Rede ist von Fernsehbildern, ferner geht es streng genommen gar nicht. Größer ebenso wenig. Die Bilder sind zwar nur schwarz-weiß (oder genauer: schwarz-gelb) und nur bei klarem Nachthimmel deutlich zu sehen, denn Wolken bilden sich weit unterhalb der Natriumschicht, aber wenn die Bedingungen stimmen, ist das Ergebnis umso beeindruckender. Mit entsprechend leistungsstarken Lasern war ich später in der Lage, mit bloßem Auge sichtbare, bewegte Bilder mit einer Bildschirmdiagonale von über 100 Kilometern in den Nachthimmel auszustrahlen. Das gelang aber, wie gesagt, erst später und ich behielt es für mich. Ich habe meine wortwörtlich größte Erfindung nicht patentiert, ich komme aber im Laufe dieser Erzählung darauf zurück. Versprochen. Ich verrate dann auch, warum ich diese Erfindung geheim hielt.

i Dieselbe monochromatische Farbe, die von den Natriumdampflampen ausgestrahlt wird, die oft in der Straßen- und Autobahnbeleuchtung eingesetzt werden. Wenn man Kochsalz auf eine offene Flamme streut, entsteht diese Farbe ebenfalls – die einzige einfache Art, Natrium nachzuweisen.
ii Vgl. Geoff Andersen, „The Telescope. Its History, Technology and Future”, Princeton University Press, Princeton and Oxford, 2007, S. 137-139 und 170.
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