LXXXIX. Tiere und Dreck

In manchen Häusern gibt es enorm viele Insekten einer einzigen Art, manchmal von Gebäude zu Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft ganz unterschiedliche Spezies. Die Häuser erscheinen verschwommen auf den Bildern der Augen, bis wir näher heranfliegen. Erst dann wird klar, dass die Kameras nicht defekt sind, sondern dass die Gebäude von Myriaden Käfern oder Fliegen oder Motten umschwärmt werden. Was nicht klar wird, ist, warum manche Gebäude von dieser Art, andere von einer ganz anderen Art und wieder andere Gebäude gar nicht befallen sind. Marienkäfer kamen im Freien in Mitteleuropa besonders häufig vor.

Andere Tiere versetzen uns immer wieder in Erstaunen: Den Vogel Strauß sichten wir des Öfteren in den ehemaligen USA, in Australien und in Südeuropa. Sie sind vermutlich von verlassenen Farmen ausgebüchst, ich schieße von Zeit zu Zeit welche ab, mitunter nehme ich mir Eier aus den Nestern. Aus der Luft sieht man die Nester gut, besser als vom Boden aus. Kamele und Trampeltiere finden sich zahlreich in Australien. Lamas in Schottland, mit schönen langen Wimpern. Elche auf Neufundland, in rauen Mengen. Schafe werden seit Jahren nicht geschoren, sind entsprechend wollig und ihr verfilzter Pelz von vielen Parasiten befallen. Sie leiden im Sommer bei hohen Temperaturen offensichtlich unter ihrer Wolle, manch ein Mutterschaf verfügt über eine derart extreme Wollpracht, dass ihre Lämmer Schwierigkeiten haben, an die Zitzen zu kommen. Viele verhungern daher. Die Schafsrassen für die Fleischgewinnung haben einen evolutionären Vorteil gegenüber den reinen Wollerzeugern, bei denen wächst die Wolle gemäßigter. Die Anzahl der schwarzen Schafe scheint mir ebenfalls zurückgegangen zu sein, entweder bilde ich mir das ein oder die ungeschorene dunkle Wolle wird im Sommer zu heiß und die Schafe gehen daran ein.

Wellensittiche und Mönchssittiche sind in ganz Südeuropa heimisch geworden: Im Despotat, in Iberien und Südfrankreich an der Mittelmeerküste, in Griechenland… Sie bilden große Schwärme. Uns nerven sie. Die Mönchssittiche bauen große Nester aus Zweigen, das ist ungewöhnlich für Sittiche. Ratten erscheinen beinahe allgegenwärtig, wenn man aufmerksam hinschaut. Sie sind vor allem nachtaktiv. Wie leben sie bloß ohne den menschlichen Abfall? Zehren sie von der Substanz oder haben sie andere Futterquellen erschlossen? Ziegen gibt es auf fast allen Inseln, die wir aufsuchen. Was wohl aus denen wird, wenn sie die Bäume alle abgegrast haben?

Spatzen sehen wir wenige, Tauben recht viele. Auch Hasen oder Kaninchen, wer weiß das schon, sichten wir immer wieder. Manche fangen wir mit Netzen, was sich nicht ganz einfach gestaltet, und züchten sie anschließend mit den Abfällen dessen, was meine geliebte Frau an Bord an Gemüse und Kräutern anbaut. Die meisten Kaninchen erschießen wir aus der Luft, das geht einfacher, als sie lebend zu fangen, Foc apportiert sie und wir essen sie kurzerhand, einfach gebraten, mit Knoblauch und Thymian. Schwalben sind schön zu beobachten, sie fliegen so elegant. Oder sind es Mauersegler? Schwer zu sagen, wenn man es nicht weiß. Mir gefällt es, den Flug der Schwalben auf gleicher Höhe zu beobachten. Die Katzen mögen es ebenso und schnattern den Schwalben (oder Mauerseglern) flemend hinterher. Foc hingegen sind Vögel gleichgültig, er ignoriert sie nicht einmal. Die Katzen haben natürlich keine Chance, diese ausgezeichneten Flieger aus der Hyperborea heraus zu fangen.

Im Herbst und im Frühling fliegen wir permanent durch riesige Schwärme von Staren. Stare sind in Europa sehr zahlreich und treten als Zugvögel bei ihren Wanderungen in riesigen Schwärmen auf. Das ist von der Hyperborea aus beeindruckend zu sehen, es sind so viele! Sie ändern ihre Flugrichtung um uns herum mit einem akkuraten Synchronismus, kommen ganz nah an uns heran, stoßen aber niemals mit uns zusammen. Durch einen solchen Schwarm zu fliegen, ist ein schwindelerregendes Erlebnis, die Vögel scheinen synchron die Flugrichtung zu ändern, immer wieder. Beeindruckend. Sie sind laut, ihre Flügel flattern wie raschelndes Papier und mit ihren kurzen Stummelschwänzen sind sie erstaunlich wendig. Nachdem wir einen solchen Schwarm durchflogen haben oder – je nachdem, wie man es betrachtet – von einem solchen durchflogen wurden, stellen wir fest, dass die Hyperborea viel Kot abbekommen hat. Eine kurze Reinigung unter einem Regenschauer schafft Abhilfe, aber die Frage stellt sich: Wie schaffen es die Stare, sich in diesen riesigen Schwärmen nicht gegenseitig selber zu beschmutzen? Ich habe keine Ahnung. Zum Glück ist die Oberfläche der Hyperborea mit einer sich selbst reinigenden Schicht nach dem Prinzip der Lotusblüte versehen und dieser Effekt hält bis heute.

Zu Beginn unserer Odyssee fanden wir in den verschiedensten Erdteilen frei lebende Hühner, die nahmen wir gleichermaßen an Bord wie die Kaninchen. Hühner jedoch waren viel leichter zu fangen. Lange hielten die Hühner in freier Laufbahn nicht durch: Sie waren zu langsam, flugunfähig und tölpelhaft, so dass die verschiedensten Räuber sie letztendlich ausgerottet haben (ich habe jedenfalls seit Jahren keine Hühner mehr in freier Wildbahn gesehen). Anfangs unterlagen sie einer Schonfrist, da es offenbar noch nicht viele Räuber gab, aber bei den allgemein verfügbaren Beutepopulationen vermehren sich Räuber schnell. Jetzt hat sich der Wettbewerb zwischen den Räubern verschärft, die evolutionäre Auslese wird strenger und wir bekommen keine neuen Hühner. Wir hätten die, die wir einst besaßen, besser pflegen und füttern sollen. Ich vertraute irrtümlicherweise auf einen nicht versiegenden Nachschub. Da habe ich mich geirrt.

Enten sind leicht zu entdecken und lassen sich als junge Nestflüchter mithilfe der Augen mit Keschern auf dem Wasser recht leicht fangen. Die Entenmütter schauen bisweilen verdutzt und wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Wir züchten die Entenküken nicht, sondern ziehen sie groß und verspeisen sie nach Gusto.

Möwen kommen auch immer wieder vor, sogar im Landesinneren. Für gewöhnlich nerven sie. Raben und Krähen besuchen uns oft. Sie sind clever, sie finden immer wieder Nahrung im Bereich der Ladeluke. An Raben und Krähen trauen sich die Katzen nicht heran, vor ihnen haben sie Respekt. Ansonsten existieren jede Menge Vögel, deren Namen ich nicht kenne.

Auf der ehemaligen Insel Vozrozdénija, einst auf dem Aralsee gelegen, als es diesen noch gab, testeten die Sowjets biologische Kampfmittel an Pferden, Affen, Schafen, Eseln und an einer Vielzahl von Labortieren. Zu den hierbei aufgetretenen Erkrankungen zählten Anthrax, Tularämie, Brucellose, Pest, Typhus, Pocken und Botulismus. Alle Tiere sollen gestorben sein. Alle? Unmöglich. Mäuse, Ratten und Flöhe überlebten, Vögel und Zecken ebenso. Heute ist Vozrozdénija längst keine Insel mehr und die Winde blasen die trockenen Viren und Bakteriensporen aus dem staubigen Boden, dem ehemalige Grund des nun ausgetrockneten Sees, Hunderte von Kilometern weit, zusammen mit chemischen Rückständen, konzentrierten Pflanzenschutzmitteln, Müll, Staub und Salzen. Manche Leute meinten, diese Faktoren hätten viele Krankheitsfälle verursacht, vermutlich war es tatsächlich so. Andere sagten, sie begünstigten nur deren Verbreitung. Heute ist diese Nuance irrelevant. Der Aralsee indes füllt sich sehr langsam wieder, jetzt, wo das Wasser nicht mehr für die Baumwollplantagen abgezweigt wird.i

Wir versuchten, den Staub der vergangenen Jahre, den Vogelkot, den wir beim Durchfliegen verschiedener Vogelschwärme abbekommen hatten, die Vulkanasche, die sich auf uns gelegt hatte, den Ruß aus den noch immer brennenden Feldern in Kuwairak, Saudi Arabien und dem Iran, den wir mit den Westwinden in Indien abbekommen hatten, und überhaupt den ganzen Dreck, der sich im Laufe der Zeit auf unserer Luftjacht angesammelt hatte, im Regen eines peitschenden Gewitters abzuwaschen. Das klappt ganz gut, die Hyperborea tanzt mit sich, dem Wind und dem Regen im Kreis wie in einem Walzer, um sich von allen Seiten vom windgepeitschten Regen reinigen zu lassen. Zuvor war ich ganz furchtlos, aber mit allen Sicherungen, die meine geliebte Frau für notwendig erachtet hatte, außen am oberen Scheitelkamm der Hyperborea mit einem Schlauch Reinigungslösung sprühend, entlanggelaufen, am schmalen Rand der Sechsecke entlang in einem seltsamen Zick-Zack, bei dem ich jeweils zweimal sechzig Grad nach rechts abbiegen musste, um dann zweimal sechzig Grad nach links abzubiegen, ein ums andere Mal, das ganze Schiff der Länge nach. Den Schlauch drehte ich allerdings jeweils erst auf dem Rückweg von den Schiffsenden zurück zur Aussichtsplattform in der Mitte auf, eine Vorwaschlösung meiner eigenen Mixtur spritzend, um die Außenhülle auf den peitschenden Regen vorzubereiten und den Dreck einzuweichen. Es funktionierte ausgezeichnet, anschließend haben wir bis zu zehn Prozent mehr Stromerzeugung gemessen. Der Lotusblüteneffekt funktioniert auf der äußeren Oberfläche unserer Grätzel-Zellen weiterhin wie geplant.

i Vgl. Erik Orsenna, „Voyage au pays du cotton“, Librairie Arthème Fayard, 2006.

 

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