X. Erste Pläne

Nach nur vier Tagen kam Herr Klaasen mit einer Mappe voller Pläne auf mich zu. Die Pläne waren auf Papier gedruckt, der altmodische Mann hatte doch tatsächlich einen Computer zur Hilfe genommen, was mich beruhigte. Sie waren dennoch vollgekritzelt, mit Anmerkungen versehen, mit skizzierten Änderungen und kryptischen Zeichen. Wir nahmen Platz und er legte los:

„Die Hülle aus Kohlenstoff-Faser kann man in einem Stück pyrolisieren oder sie aus mehreren Teilen zusammenkleben. Wenn das Projekt skalierbar sein soll, können wir gleich mit mehreren Teilen anfangen. Das macht es später einfacher. Ich habe mir eine fraktale Struktur ausgedacht, die ist da am stärksten wo die größten Kräfte auftreten – an der Gondel, den Motorhalterungen und den Steuerrudern. Der Rest ist starr, aber flexibel und sehr leicht. Ich würde nicht eine, sondern zwei Folien für die Abdichtung benutzen. Eine äußere und eine innere, die man später in mehrere Kammern unterteilen könnte. Das wird allerdings bei einem so kleinen Modell nicht sinnvoll sein, Rattatán hat auch keine Kammern. Ich schlage vor, für die kleinen Modelle eine einfache große innere Hülle zu nehmen, die man als letzten Arbeitsschritt aufblasen kann, bis wir die Außenhülle mit einer einzigen Kammer ausfüllen.“

Herr Klaasen zeigte seine Blaupause und suchte unter den vielen anderen Blättern immer andere Detailzeichnungen. Ich versuchte, seine fraktale Gerüststruktur zu verstehen. Sie war sicher gewichtsoptimiert, aber sehr komplex. Herr Klaasen redete weiter:

„Die Motoren sind sowohl fest installiert als auch schwenkbar möglich. Schwenkbar wäre vorzuziehen, aber vielleicht ist es besser, mit dem einfacheren Aufbau zu beginnen. Das erspart uns die Mechanik für das Schwenken und die Steuerung wird einfacher: Die Motoren können schneller oder langsamer, vorwärts und rückwärts betrieben werden. Eventuell braucht man sogar keine Steuerruder außer zum Landen und das ginge vermutlich mit kleinen Deflektoren, die man direkt an den Motoren anbringen könnte. In dem Fall könnte das Luftschiff der Längsachse nach symmetrisch und – mit Ausnahme der Gondel – rotationssymmetrisch sein. Sehr elegant und besser zu berechnen.“

„Diese Struktur sieht wie Eisblumen aus. Wird sie halten?“

„Die Struktur würde von allein halten, aber wenn wir die Außenhülle daran befestigen, wird sie richtig fest, sehr starr.“

„Und wie sollen wir diese komplexen Teile fertigen?“

„Das wird nicht einfach, da gebe ich Ihnen recht. Allerdings haben wir hier eine ziemlich weit optimierte, computergenerierte Skizze. Es müsste auch einfacher gehen.“

„Erkundigen Sie sich, welche Maschinen und Werkzeuge wir im optimalen Fall brauchen und was diese schlimmstenfalls kosten, dann sehen wir schon. Und wie sieht es mit dem Strom aus? Woher kriegen wir den?“

„Das bereitet mir noch Kopfzerbrechen. Nach meinen Berechnungen haben wir bei einem Drei-Meter-Modell 1.500 Gramm Gewicht frei für Motoren, Funk, Kamera und Strom. Das lässt um die 1.300 Gramm für die Stromspeicher oder -erzeuger. Mit modernen Hochleistungsspeichern der letzten Generation erreichen wir bei dem Gewicht in etwa bis zu 800.000 mAh, was zwar recht viel ist, aber in Autonomie bzw. Flugzeit umgerechnet kaum ein paar Tage ausmachen dürfte. Eine Fotovoltaik-Anlage würde bei dem Gewicht unter guten Voraussetzungen langfristig mehr leisten, die funktioniert jedoch ausschließlich tagsüber, demzufolge muss man doch Strom speichern, was wiederum Gewicht kostet. Und mir ist momentan nicht klar, wo und wie ich die Solarzellen anbringen soll.“

„Lohnt es unter diesen Umständen, mit der Konstruktion anzufangen?“

„Mit der Konstruktion nur in dem Maße, wie wir davon inspiriert werden – „Learning by Pfusch“ sagt der Ingenieur dazu.“ Herr Klaasen machte eine Pause und errötete. Ob ihm wohl gerade meine Versuche mit Rattatán eingefallen waren? Ich tat, als hätte ich nichts bemerkt und er fuhr fort: „Aber die benötigten Werkzeuge und Maschinen würde ich schon langsam auswählen; wir könnten die Maschinen ausprobieren und die Konstrukteure mit ihnen vertraut machen. Wir sollten zusehen, dass wir die ersten Teile herstellen; der hohe Preis der Teile liegt an der eingesetzten Arbeitszeit, zum kleinen Teil auch an der aufgewendeten Energie, aber da Sie bereits zwei Monteure unter Vertrag haben, macht es bei den Kosten keinen Unterschied, ob wir sie schon beschäftigen oder ob sie untätig bleiben.“

„Wie groß können diese ersten Teile sein?“

„Je nachdem, wie viel wir bereit sind zu kleben. Aber eine Länge unter einem Meter ergibt wenig Sinn. Noch besser wären mindestens zwei Meter.“

„Berechnen Sie die Kosten und melden Sie sich wieder! Das sieht alles sehr vielversprechend aus, aber ohne eine gesicherte Stromversorgung werden wir nicht weit kommen.“

„Ja, das sehe ich genauso.“

Herr Klaasen sah sich seine Pläne weiter an. Er rückte seine Brille zurecht und zog die Augenbrauen zusammen.

„Je größer die Luftschiffe, desto einfacher die Lösung. Wenn es bei einem Drei-Meter-Schiff klappt, klappt es erst recht bei allen größeren Ausführungen.“

Das war mir auch klar: Luftschiffe wachsen im Volumen, also in der Tragkraft, mit der dritten Potenz ihrer Größe, das Gewicht indes konzentriert sich weitgehend auf die Oberfläche und die wächst lediglich mit der zweiten Potenz, ebenso wie die Kraft, die man für deren Betrieb benötigt, da der Luftwiderstand nicht vom Volumen, sondern vom Querschnitt abhängt. Dasselbe gilt für die Windkräfte, denen das Luftschiff ausgesetzt ist. Je größer Luftschiffe werden, desto mehr zusätzliche Nutzlast können sie im Verhältnis zum Eigengewicht des Schiffes selbst tragen. Auf diese Weise gewinnt man mit zunehmender Größe eine immer größeren Spielraum: Man kann mehr Batterien, Fotovoltaik-Kollektoren, Generatoren oder was immer man wünscht einbauen. Herr Klaasen wusste das natürlich ebenfalls alles.

„Die Aufgabe ist mit einer einfachen Maximumberechnung nicht mathematisch zu lösen. Je kleiner das Schiff, desto teurer werden die Lösungen sein müssen und ab einer bestimmten Mindestgröße abwärts sind sie gänzlich unpraktikabel. Ein Optimum gibt es nicht ohne Weiteres: Je größer, desto besser, ja… Aber ein unendlich großes Schiff ist praktisch nicht zu bauen.“

Ja, das Problem war klar, aber die Lösung hingegen war nicht evident. Es würde auf einen Kompromiss hinauslaufen.

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