XIV. Nachbesprechung

Zurück in der neuen Werkshalle im Süden Berlins, am Rande des Industrieparks am Adlergestell, wo sich vor zwanzig Jahren die Unternehmen angesiedelt hatten, die Berlins Zukunft hätten sein können, bis die Weltwirtschaftskrise die EU sprengte, den Euro auseinanderfallen ließ und die Region Berlin-Brandenburg endgültig in die Pleite trieb, trafen wir Herrn Klaasen mit dem Monteur Nicco Gassi, die aufmerksam das Probemodell studierten, und die behelfsmäßige Informatikerin und vorläufige Sekretärin Beata N. Maloumie, die die Daten aus dem Gerät herausgelesen hatte, diese nun auf ihren Rechner übertrug und stirnrunzelnd auswertete. Das Modell schwebte in der dunklen Halle, die Motoren ausgeschaltet, die Stromversorgung unterbrochen. Herr Klaasen hatte die Akkus ausgebaut und maß deren Ladezustand an einem Amperemeter, während Nicco Gassi die Hülle des Schiffes und die Propellerschaufeln mit einem feuchten Lappen von Insektenresten säuberte. Mit ausgebauten Akkus war das Gerät leicht und wollte zur Decke hinaufschweben, es wurde jedoch von einem am Boden beschwerten Netz festgehalten. Herr Augsburger hielt sich nicht in der Halle auf, vermutlich war er in seinem Büro.

Meine geliebte Frau sprach als Erste:

„Guten Tag, Herr Klaasen, Nicco, Beata! Nun, Herr Klaasen, wie hat es Ihnen gefallen? Sind Sie mit den ersten Ergebnissen zufrieden?“

Manchmal konnte meine geliebte Frau sehr direkt und etwas undiplomatisch sein.

Herr Klaasen überlegte kurz, schob seine altmodische Brille den Nasenrücken hoch und sah auf die anderen Mitglieder des Teams, auf meine geliebte Frau, zu guter Letzt auf mich.

„Dafür, dass es sich um ein erstes Modell handelt, sind die Ergebnisse sehr ermutigend. Ausdauer, Geschwindigkeit und Fotozellen sind gut bis sehr gut. Die Manövrierfähigkeit ist jedoch verbesserungsbedürftig und die Kamerasteuerung muss noch umgesetzt werden, das bisher erreichte entspricht unseren Vorstellungen bei Weitem nicht.“ Herr Klaasen sah nicht glücklich aus, aber selbstsicher.

„Sie haben recht!“, sprach meine geliebte Frau. „Die Idee funktioniert, die Ausführung ist nicht schlecht, wir werden jedoch einiges überarbeiten und umkrempeln müssen. Im Wesentlichen sind mein Mann und ich der Meinung, dass man das Gerüst des Schiffes stark vereinfachen muss. Darüber hinaus müssen die Steuerung und die Kameraführung optimiert werden, was unserer Meinung nach nur mit Hilfe eines lernfähigem Computers, also eines umprogrammierbaren, neuronalen Netzes, machbar sein wird.“

„Dazu hätten wir folgenden Vorschlag“, ergänzte ich und nahm einen Stift in die Hand, um unsere Vorstellung zu skizzieren. „Wenn die Außenhülle des Schiffs durchsichtig wäre, könnte man die Fotozellen im Inneren des Schiffes anbringen. Damit wären sie vor Schmutz, Regen und Wind geschützt. Wir haben uns gedacht, wenn wir zwei kreisrunde Fotozellen nehmen würden, müsste das Schiff folgendermaßen aussehen…“ Ich skizzierte ein Schiff auf einem Blatt auf dem Werktisch. „Nehmen wir einen Zylinder mit der Höhe H und dem Durchmesser H, einen solchen Zylinder könnte man in einen Würfel stecken.“ Ich zeichnete den Würfel um den Zylinder mit Strichlinien. „An beiden Enden des Zylinders könnte man je eine Halbkugel anbringen, ebenfalls mit dem Durchmesser H. Das Ganze Gebilde hätte dann die Länge 2H und einen Durchmesser H. Um die Form stabil zu halten, müssen wir die zwei Kreise, die den Zylinder begrenzen, durch Distanzstücke auf der richtigen Entfernung halten. Ich zeichne mal vier Distanzstücke ein, vielleicht brauchen wir mehr, vielleicht weniger. Dort, wo die Distanzstücke an die beiden Begrenzungskreise stoßen, setzen wir sie als Halbkreis nach vorn und nach hinten fort, somit sind die beiden Halbkugeln an den Enden des Luftschiffes definiert.“ Ich schaute auf meine geliebte Frau, die mir zunickte, und auf Herrn Klaasen, der mit zusammengezogenen Augenbrauen konzentriert zuhörte, und setzte meine Erläuterungen fort. „An den beiden Kreisen, dort, wo Zylinder und Halbkugel aneinanderstoßen, stelle ich mir je eine Schiene vor, an der eine kardanische Aufhängung für die Fixierung und Ausrichtung der Fotozellen angebracht werden könnte. Da die Fotozellen kreisrund sein sollen und das Schiff die Länge 2H und den Durchmesser H hat, passen zwei Fotozellen in die Hülle, jede mit einem Durchmesser von beinahe H. Ein wenig kleiner halt, damit die kardanische Aufhängung die runden Fotozellen sowohl die Schiene entlang als auch axial drehen kann, aber in Prinzip können wir, meine ich, sehr nahe an H kommen, weil ja im Inneren des Schiffes keine Kräfte von außen wirken, womit wir die Teile sehr filigran bauen können.“

Nicco Gassi fragte:

„Warum die kardanische Aufhängung? Die ist doch irre kompliziert, was bringt sie?“

Meine geliebte Frau und ich sahen erst uns, dann Herrn Klaasen an. Herr Klaasen hatte meine Ausführungen offensichtlich verstanden und hob zur Antwort an.

„Mit ihr kann man beide Fotozellen jederzeit so ausrichten, dass das Sonnenlicht senkrecht darauffällt, womit die Stromausbeute maximiert wird.“ Er sah mich an und ich fuhr fort:

„Wenn die beiden Kreise keinen Schatten aufeinander werfen, produziert die hintere Zelle von der Sonne aus gesehen halt weniger Strom. An denselben beiden Kreisen, aber natürlich an der Außenseite, stelle ich mir je vier Motoren vor. Dieselbe Struktur gibt dem Schiff seine Form, stützt die Fotozellen und trägt die Motoren. Diese sind beliebig schwenkbar, womit die Manövrierfähigkeit des Schiffes gewährleistet wird. Quer- und Seitenruder entfallen entsprechend auch hier. Die Motoren kann man einzeln ausrichten und ihre Leistung individuell steuern.“

„Da es einem Menschen kaum möglich sein sollte, acht Motoren gleichzeitig zu koordinieren, wird für deren Steuerung ein Computer eingesetzt“, ergänzte meine geliebte Frau. „Sie haben ja selber gesehen, Herr Klaasen, wie schwer es ist, die Motoren bei einem Manöver zu steuern, und dabei sind in diesem Modell…“, sie zeigte auf das schwebende Schiff in der Halle, das unter seinem Netz – nunmehr gereinigt und poliert und vom Gewicht der Akkus befreit – zur Decke entschweben wollte, „…die Motoren nicht einmal schwenkbar. Ich denke, das Beste wird sein, wir trainieren unsere Steuerung mit einem neuronalen Netzwerk. Meinen Sie nicht auch, Beata?“

Beata Maloumie wollte lieber für die Informatik verantwortlich als Sekretärin sein und nickte beflissen:

„Das wird das Beste sein. Aber vielleicht funktioniert es etwas besser, wenn man im Schiff zusätzlich ein paar Bewegungssensoren installiert. Unter der Voraussetzung könnte das Schiff nicht nur relative, sondern gleichermaßen absolute Bewegungen berechnen.“

„Ich denke, wenn man an beide Fotozellen jeweils einen Kreisel einbaut, wird deren Ausrichtung zur Sonne sehr einfach. Dieselben Kreisel könnte man benutzen, um die Beschleunigung des Schiffes zu messen und der Steuerung einen Referenzrahmen zu geben“, fügte Herr Klaasen hinzu. Meine geliebte Frau zeigte sich zufrieden darüber, dass man uns soweit verstanden hatte.

„Somit bleibt die Gondel für die Kamera, den Funkempfänger und -sender, die Stromakkus und die Chips für die Steuerung. Da werden wir ausprobieren müssen, ob man sie besser unten anbringt, außen am Zylinder befestigt oder ob es nicht besser wäre, sie innerhalb des Schiffes unterzubringen, an der Innenseite des Zylinders, in dem Bereich, an den die beiden runden Fotozellen bei ihrer Rotation nicht heranreichen.“

„Ersteres wäre einfacher zu warten, weil man leichter an die einzelnen Teile herankäme. Die zweite Variante wäre windschnittiger und symmetrischer, allerdings schwerer zu handhaben und sie nähme Trägergasvolumen ein“, gab ich zu bedenken. „Aber das müssen wir nicht sofort entscheiden. Eher sollten wir ausrechnen, ob das, was wir uns ausgedacht haben, faktisch umzusetzen geht. Was meinen Sie, Herr Klaasen, wie lange brauchen Sie für die neue Berechnung?“

„Die Berechnung ist im Prinzip einfach. Bis morgen Mittag habe ich eine brauchbare Annäherung.“

„Und wie lange schätzen Sie braucht es, bis man danach einen zweiten Prototypen baut?“

„Das hängt davon ab, wie viele Teile wir kaufen können und wie viele wir selber herstellen müssen. Je mehr wir zweckentfremden können, desto besser und einfacher; wenn wir jedoch bei fremden Teilen zu viele Kompromisse eingehen müssen, insbesondere was das Gewicht angeht, dann lohnt es sich nicht, dann sollte man besser etwas selber bauen. Kreisrunde Fotozellen zum Beispiel sind keine Standardware.“

„Dann mal an die Arbeit!“, schloss meine geliebte Frau die Unterhaltung. Sie sollte recht behalten: Es wurde Arbeit. Erfolgreiche Arbeit.

zurückvor

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.