XLVI. Hawala

Später wurde mir klar, dass die Türken uns keinen reinen Wein eingeschenkt hatten (was kein Wunder ist angesichts des in ihrer Religion bestehenden Alkoholverbots). Es stellte sich heraus, dass die Leichenrückführungen zunächst in die Türkei, später gleichermaßen in andere muslimische Länder, nur der Deckmantel für die Rückflüge aus diesen Ländern waren. Der wahre Zweck ihres Engagements lag darin, Rauschgift nach Deutschland zu schmuggeln. Der direkte Zugang zur Moschee gleich neben dem Flughafen Tempelhof war dabei unbezahlbar, ihre Riten und Tabus waren ein ideales Alibi. Die Polizei, wenn sie denn nicht geschmiert war, gab sich ahnungslos.

Wir erfuhren von den Machenschaften unserer türkischen Partner, weil wir ihnen ebenfalls etwas verschwiegen, nämlich, dass auch ihr Schiff mit Kameras bestückt war, die uns ständig Bilder übermittelten. Selbige wurden über die Vendobionten gesendet, ganz so, als ob ihr Schiff ein gewöhnliches Auge wäre. Der einzige, aber wesentliche Unterschied bestand darin, dass wir ebendiese Bilder nicht den anderen Nutzern zugänglich machten. Ich behielt sie für mich, nur meine geliebte Frau wusste davon. Selbst wenn Hacker in unser System eingedrungen wären, und ich bin mir sicher, dass einige staatliche Stellen das bereits versucht und einige von ihnen es sicherlich geschafft haben, werden sie diese Bilder nur mit größtem Aufwand und viel Glück zu sehen bekommen, so gut hat sie meine geliebte Frau im System verborgen. Man muss seine Kunden schützen, selbst wenn sie schummeln.

Schon die große Vertrautheit der Türken mit dem Hawala-Zahlungsystem war von Beginn an auffällig, aber es kümmerte mich nicht, eher im Gegenteil. Dieses internationale Zahlungssystem war traditionell unter Muslimen, später, weil es so praktisch war, auch unter Verbrechern und Terroristen sehr beliebt. Bei den Muslimen geht diese Vorliebe aufeine lange Tradition zurück, denn bereits im Jahr 1327 unserer, dem Jahr 702 ihrer Zeitrechnung hatte der Rechtsgelehrte Abu Bakr ben Mase-ud al-Kasani diese Zahlungsart als „Institut des Islamischen Rechts“ in seinen Studien dargestellt. Der Name Hawala geht im Arabischen auf das Wort Wechsel zurück, auf Hindi bedeutet es Vertrauen, was beides passender nicht sein kann. Ferner leitet sich das moderne Wort „Avalkredit“ von diesem Ausdruck ab. Mittels des Hawala-Systems kann Geld schnell, vertraulich und kostengünstig abseits jeglicher staatlicher Kontrolle transferiert werden. Ähnliche vorkapitalistische Geldtransfersysteme gibt es auch in Asien; sie sind dort unter den Namen „Hundi“, „Fei Chien“, „Huikuan“, „Chop“, „Chit“ oder „Flying Money“ bekannt. In Lateinamerika existiert ebenfalls seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das „Kolumbianische System“ – der Name ist naheliegend, der Grund für die Nutzung des Systems ebenso. Bei Verbrechern und Terroristen geht die Beliebtheit des Hawala-Systems auf die Schwierigkeit zurück, die Zahlungen verfolgen zu können. Logisch! Wir nutzten es gelegentlich, aber ich will hier nicht über Schwarzgeld reden, das gehört nicht hierher. Es zeigt jedoch, wie weit wir den Türken vertrauten.

An dieser Stelle möchte ich anfügen, dass „unsere“ Türken als anständige Verbrecher uns niemals auch nur die geringste Schwierigkeit bereiteten. Sie behandelten uns immer wie ihresgleichen und hielten sämtliche Verabredungen pünktlich ein. Jetzt, als die Lage der Welt brenzlig wurde, halfen sie uns sogar, Waffen und Munition zu besorgen und unser Gelände zu sichern. Es war überdies für die Verteidigung ihrer Moschee gut, wenn wir, ihre Nachbarn, gut gesichert waren.

Den Wunsch unserer türkischen Nachbarn nach grüner Farbe konnten wir übrigens doch erfüllen. Wir dopten die Grätzel-Zellen ihres Schiffes chemisch mit einer Phosphorverbindung, was ihren Wirkungsgrad nicht beeinträchtigte, im Dunkeln hingegen grün leuchtete, phosphoreszierte eben. Dieser Effekt gab dem muslimischen Totenluftschiff (ich glaube, sie nannten es ölum gemiyi oder ölum gemici, Ali konnte es auch nicht deutlicher verstehen) nachts ein gespenstisches Aussehen. Mir gefiel es, es kam mir sehr passend vor und sie waren zunächst zufrieden. Für unsere Luftschiffe aber verzichtete ich auf diese optische Spielerei. Ich zog es vor, meine Luftschiffe nachts bei Bedarf verdunkeln zu können. Im Nachhinein glaube ich, dass ihnen die Möglichkeit zur Tarnung eigentlich nicht geschadet hätte – ganz im Gegenteil.

Das sage ich deshalb, weil ihr Schiff kurze Zeit später Opfer der Flammen wurde. Ob die Flammen von außen oder von innen verursacht wurden, kann ich in Nachhinein nicht mit Sicherheit feststellen. Sicher ist nur, dass das Schiff eigentlich nicht hätte brennen dürfen. Die Tatsache, dass es das doch tat, und die Art, wie es brannte, nämlich von innen heraus, brachte uns auf den Gedanken, dass die Betreiber das Schiff vorschriftswidrig nicht mit Helium, sondern mit Wasserstoff gefüllt hatten. Auf diese Weise wird dessen Tragkraft erhöht, dessen Brandgefahr steigt jedoch ebenfalls. Man muss sich nur die historischen Bilder aus Lakehurst mit der brennenden Hindenburg anschauen. Wenn es aber niemand merkt, vor allem der Zoll nicht, ist ein heimlich mit Wasserstoff gefülltes Luftschiff ideal zum Schmuggeln. Die somit gewonnene zusätzliche Tragkraft kann für jede undeklarierte Ware benutzt werden. Wenn es aber irgendwann brennt, ist es aus. Aus welchem Grund sollte ein Luftschiff brennen, könnte man fragen? In einem Luftschiff können sich viele Unfälle ereignen. Außerhalb des Schiffes kommen unter anderem Blitze, elektrostatische Aufladung oder andere Menschen in Frage. Andere Menschen (Saboteure zum Beispiel) waren, glaube ich, am gefährlichsten. Gerade in der damaligen Zeit wurden sie immer gefährlicher.

 

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