Tout ce qui est impossible reste à accomplir.i
Jules Verne
Soweit ich zurückdenken kann, wollte ich schon immer ein Luftschiff haben. Ich hatte mich die ersten Jahre des Jahrhunderts hindurch mit meinen Erfindungen mehr schlecht als recht aber mit viel Spaß an der Sache durchgeschlagen. Als ich dann die Rechte über mein erfolgreichstes Patent endlich verkaufte, war ich reich. Nicht reich genug, um mir aus dem Stand ein Luftschiff bauen zu können, ich konnte es immerhin schrittweise versuchen, dachte ich mir. Ich würde mit einem Modell beginnen. Ein echtes Modell, keine Computersimulation. So fing es an:
Meine geliebte Frau und ich verkauften meine Rechte an dem Patent für die Korrektur der Über- und Unterbelichtung bei Fernseh-Live-Übertragungen aus dem Freien für ein kleines Vermögen plus Tantiemen an einen großen japanischen Technik- und Unterhaltungskonzern. Dieses Geld sollte die Grundlage sein, um meinen Traum von einem Luftschiff wahr werden zu lassen. Wir hatten in unserer Komplementarität eine stabile Grundlage für unsere Zuneigung und gegenseitige Bereicherung gefunden, wir sind wie zwei Seiten eines Möbiusbandes, die ineinander übergehen, wenn man sie abläuft: Sie ist Programmiererin und kann noch heute ausgezeichnet mit Computern umgehen. Mittlerweile sind unsere Computer das, was man in der Zeit, in der man diese Geräte regelmäßig austauschen musste, als alt bezeichnen würde. Optimistisch betrachtet heißt das, dass wir, genauer gesagt meine geliebte Frau, unsere Computer auswendig beherrscht und mittlerweile mehr Zeit mit deren Wartung als mit der Bedienung, geschweige denn der Programmierung verbringt. Man gebe ihr etwas, das sich durch scharfes Nachdenken verbessern lässt, und sie wird es verbessern – das ist eine sehr nützliche Eigenschaft.
Ich dagegen bevorzuge das, was man mit Händen anfassen kann. Gebt mir etwas, das kaputtgehen kann, und ich werde es kaputt machen und aus den Teilen etwas Besseres bauen. Eine ebenfalls sehr nützliche Eigenschaft. Meistens jedenfalls, wenn es tatsächlich klappt.
Mit dem Geld kam der Einfluss, womit alles sehr viel einfacher wurde. Und die Unabhängigkeit, ein beinahe vollwertiger Ersatz für die Freiheit. Darauf folgte der Ruhm, was schon zwiespältiger war, aber per Saldo doch nützlich. Reichtum wurde zu einer phänomenalen Grundlage für die Konstruktion nicht nur der Welt bester Luftschiffe, was nicht schwer gewesen wäre in Anbetracht der Tatsache, dass zu jenem Zeitpunkt praktisch niemand auf der Welt Luftschiffe ernsthaft baute, ja schon seit Jahrzehnten nicht gebaut hatte, sondern die Grundlage für den Bau der bestmöglichen Luftschiffe überhaupt. Auf diese Maschinen können meine geliebte Frau und ich stolz sein. Und auf das, was wir mit ihnen geschafft haben, ebenso. Aber bis dahin war es damals noch ein langer Weg.
Die Korrektur der Über- bzw. Unterbelichtung bei Fernsehübertragungen war ein ärgerliches Phänomen, mit dem sich seriöse Sender und aufmerksame Zuschauer seit Jahren gleichermaßen herumplagten. Das bedeutet, eine Minderheit sowohl der einen wie auch der anderen. Wenn Sportereignisse nachmittags im Freien stattfinden, was in erster Linie bei wichtigen internationalen Ereignissen vorkommt, die an das andere Ende der Welt übertragen werden, zum Beispiel bei Olympiaden und Weltmeisterschaften in allen möglichen Disziplinen, passiert es leicht, dass der Schatten der Stadiontribüne einen wesentlichen Teil des Spielfeldes bedeckt. Die optimalen Live-Übertragungszeiten in den Ländern mit den höchsten Werbeeinnahmen sind den Rechte habenden Sendern einfach wichtiger als die optimale Zeit für die Aufzeichnung und sie setzen sich immer durch. Dafür bezahlen sie schließlich. Die Kameras haben dann bei ungünstiger Sonneneinstrahlung kaum eine Chance, die Belichtung befriedigend einzustellen: Im sonnigen Bereich sind die Bilder hoffnungslos überbelichtet, im schattigen Bereich beinahe schwarz oder – schlimmstenfalls – beides. Die Charged Coupled Devices oder CCD-Chipsii der Fernsehkameras haben einen engen Belichtungsbereich, in dem sie die Farben angenehm und naturtreu wiedergeben, und sie können nur im Ganzen kalibriert werden. Sonnenlicht und Schatten schaffen sie nicht gleichzeitig, denn die Differenz in der Lichtintensität zwischen beiden übersteigt den Bereich, in dem sich die Chips anpassen können. Das menschliche Auge ist viel anpassungsfähiger.
Ich löste das Problem wie folgt: Ich nahm eine normale Fernsehkamera mit Teleobjektiv, Stativ und so weiter – mit einem CCD-Chip für die Aufnahme – und setzte vor diesen Chip, aber hinter das Teleobjektiv ein Prisma, wie es bei altmodischen analogen Spiegel-Reflex-Kameras benutzt wurde, um das Bild auf Sucher und Film zu spalten. Bei der Fernsehkamera ließ ich die Bilder ebenfalls spalten und ich führte beide Strahlen an je einen CCD-Chip. Beide Chips bekamen identische Daten, aber man konnte sie getrennt kalibrieren und einen separaten Weißabgleich vornehmen.
Einen Chip kalibrierte ich so, dass das Helle gut zu sehen war. Bei diesem Chip erschien das Dunkle beinahe schwarz. Den zweiten Chip kalibrierte ich so, dass das Dunkle gut zu sehen war, bei diesem wurde das Helle beinahe weiß wiedergegeben. Ansonsten waren die Bilder gleich, stellten denselben Ausschnitt dar, in derselben Zoomstufe, vollzogen synchron dieselben Kameraschwenks… Beide Bilder führte ich zu einem Computer mit einer leistungsstarken Grafikkarte und definierte für die helle Aufnahme den Helligkeitsbereich, der akzeptabel war; den überbelichteten Rest ließ ich vom Computer löschen. Hierbei war die Unterstützung meiner geliebten Frau natürlich unbezahlbar. Die richtigen Programme ebenfalls. Übrig blieben gut sichtbar die schattigen Bereiche des Spielfeldes. Dasselbe galt für das dunkle Bild, bei dem dann die sonnigen Bereiche des Spielfeldes übrig blieben, der Schattenbereich hingegen beinahe schwarz erschien. Auch diesen schwarzen Bereich ließ ich von Computer herausrechnen. Nun mussten wir nur noch beide Bilder überlagern und fertig war ein scharfes, helles, sichtbares und farbgetreues Bild im sonnigen wie im schattigen Bereich des Spielfeldes.
Diese Prozedur ist sehr schematisch dargestellt und man könnte lang und breit darüber reden, wie die Übergänge zwischen beiden Bildern gelöst wurden und wie man den Solarisationseffekt, den Sabattier-Effekt, den Eberhard-Effekt und den Interimage-Effekt vermeidet, digital hervorhebt oder verstärkt, was den Eindruck größerer Schärfe vermittelt kann. Oder die Verfremdung geht zu weit und der entstandene Eindruck erweist sich für den Zuschauer als unangenehm. Kein Wunder, dass die Senderregie meine Kameras fürchtete – es konnte so vieles falsch eingestellt werden! Besonders in Italien und vor allem in Spanien kamen die Kameraleute nie damit zurecht, aber dafür waren sie auch nicht in der Lage, einen Ball im Flug zu verfolgen oder bei einer komplexen Spielsituation die richtige Zoomstufe für den richtigen Überblick zu wählen (dafür hatten die Italiener, im Gegensatz zu den Profis der BBC, ein sicheres Auge für die schönste Blondine auf der Tribüne – ist ja auch was wert, wie man zugeben muss.). Die Produzenten hingegen waren begeistert und setzten meine Kamera mit der Kraft der zwei Chips seit der Olympiade in Rio de Janeiro im Jahr 2016 weltweit ein. Jetzt habe ich das Patent verkauft und Sie wissen nun zum einen, warum Sie in den letzten Jahren die Sportübertragungen auch am Nachmittag genießen konnten (falls es Ihnen überhaupt aufgefallen sein sollte), und zum anderen, woher das Geld für meine Luftschiffe stammt. Es ist schon etwas deprimierend, wenn man darüber ins grübeln kommt, womit man alles Geld verdienen kann. Aber Geld brauchen wir, denn wie der alte Pilotenwitz lautet: „Wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass wir fliegen, hätte er uns Geld gegeben. Wenn er gewollt hätte, dass wir Luftschiffe fliegen, hätte er uns zehnmal so viel gegeben.“ Zehnmal so viel? Abgemacht!