Unser erster Vendobiont war bereits seit neun Tagen abflugbereit, langsam brannte ich darauf, ihn loszulassen. Aber das Wetter hat nicht mitgespielt. Bis heute. Wenn wir uns zwölf Tage Zeit nehmen wollen, um auf dreißig Kilometer Höhe aufzusteigen, würden wir vier Tage Ruhe brauchen, um die ersten gefährlichen zehn Kilometer zu durchqueren, dort, wo es Wetter und Flugzeuge gab. Danach, oberhalb des turbulenten Wetters und der Gefahrenzone, machte ich mir keine Sorgen mehr. Aber bis dorthin brauchten wir lang anhaltendes gutes Wetter, das bedeutet – vor allem für ein untermotorisiertes Luftschiff – Windstille. Am 12. Juni um zehn Uhr morgens war es soweit.
Die Wettervorhersage hatte die benötigte Windstille für heute und die nächsten drei bis fünf Tage angekündigt; für heute hatten sie immerhin Recht behalten. Wir wagten es.
Wir hatten, seitdem sich günstiges Wetter abzeichnete, den Vendobionten mit der berechneten nötigen Menge Wasserstoff gefüllt. Um keinen Verformungsstress aufkommen zu lassen, hatten wir ihn seitdem mit Hilfe von Mikrowellen, die wir mit der richtigen Frequenz gewählt hatten, um den Wasserstoff im Inneren direkt aufzuheizen, die aber die Hülle durchdrangen, ohne das Aerogel oder die Grätzelzellen so weit zu erwärmen, dass sie Schaden nahmen, auf die richtige Temperatur erhitzt und hielten ihn nunmehr schon zwei Tage in diesem Zustand. Unser erster Vendobiont steckte seitdem unter einem Netz in unserer Werkshalle am Adlergestell im Süden Berlins, mit der richtigen Menge Sand in Papiersäcken als Ballast an der Unterseite, und er wartete mit uns auf den richtigen Augenblick für das Loslassen (oder, wie Sven Maven weiterhin behauptete, für das Ausdocken). Die Akkus waren voll geladen, die Elektronik oft genug überprüft, Innen- und Außendruck behielten wir ständig im Auge. Alles musste stimmen, denn wir wussten, dass, wenn das Relaisschiff flügge würde, wir es kaum jemals wieder intakt zur Erde würden bringen können. Aber egal, wie oft man alles Erdenkliche kontrolliert, irgendwann muss man den letzten Schritt wagen. Nun war es soweit.
Zu dieser Zeit waren unser Unternehmen und die Möglichkeiten, die es bot, unter der Berliner Bevölkerung noch recht unbekannt. Wie der einzige anwesende Fotograf erfahren hatte, dass wir einen Jungfernflug planten, weiß ich bis heute nicht. Ali Ben Otrefuah besuchte unsere Firma zum ersten Mal. Er fotografierte für die landesweite, aber sehr minoritäre Tageszeitung. Er war so freundlich und interessiert, wir ließen ihn gern hinein. Wir selbst hatten vier Augen für unsere Dokumentation bereitgestellt, Ali machte Fotos. Das gute Wetter war aus technischen Gründen nötig und fotogen war es außerdem. Es gelangen schöne Bilder, als der erste Vendobiont langsam aufstieg. Es würden viele weitere folgen, sowohl Bilder als auch Vendobionten.
Auf dem Weg zurück in die Stadt unterhielt ich mich mit Ali, dem unsere Augen undVendobionten ausgesprochen gut gefielen. Ich schrieb seine Daten auf für den Fall, dass ich einen Kontakt bei der lokalen Presse brauchen sollte. Warum nicht?
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