XII. Erster Prototyp

„So sieht es also aus“, sagte Herr Klaasen und zeigte auf das schwebende kleine Luftschiff. Das Ding war unheimlich schön, die Form elegant, länglich und windschlüpfrig, symmetrisch, leicht abgeflacht, kein Vergleich zu meinem Pfusch mit dem Peddigrohr. Seitlich waren vier Motoren angebracht, zwei pro Seite, auf halber Höhe angeordnet. Die Propeller drehten sich langsam. Jeder Motor war in einen Käfig eingebaut, an dem sich vorn wie hinten ein kleiner kreuzförmiger Flügel befand, der vermutlich als Höhen- und Seitenruder dienen sollte. Unten wölbte sich eine kleine Gondel. Aus einem unscheinbaren Fenster lugte ein Objektiv heraus. Das Schiff glänzte mattweiß angestrichen im Licht.

„Ich habe das Schiff mit einem fotovoltaischen Anstrich überzogen; bringt nicht ganz die Leistung, wie ich mir wünsche, ist aber sehr leicht und ganz einfach anzubringen.“

„Die innere Struktur sieht man gar nicht“, bemerkte meine geliebte Frau.

„Nein, das Schiff ist leicht aufgeprallt. Der Überdruck von 0,05 atü trennt die äußere Membran vom Gerüst. Aber nur bei Windstille. Wenn Druck von außen ausgeübt wird, gibt es Kontakt und die inneren Konturen des Gerüsts werden sichtbar.“

„Es sieht wunderbar aus“, fügte ich bewundernd hinzu. „Und wie sieht es mit den Flugeigenschaften aus?“

„Die Simulation war befriedigend, aber am besten wäre, wir probieren es einfach aus!“

„Das Wetter ist gut. Sind die Akkus geladen?“

„Voll.“

„Dann öffnen wir das Tor und lassen den Vogel heraus.“

Gesagt, getan. Wir öffneten das Tor und ließen den Prototypen hinausschweben. Wir verfolgten das Manöver am Bildschirm. Die Übertragung war gestochen scharf. Herr Klaasen positionierte das Schiff über unsere neue Halle und filmte uns.

„Gesteuert wird das Schiff mit diesen zwei Joysticks. Das Fadenkreuz in der Mitte des Bildschirms dient zur Kontrolle der Schiffsbewegungen und der Steuerung. Jetzt halten wir gegen den Wind, er bläst gerade mit etwa zwei Knoten. Ich versuche, das Schiff in Bezug zum Boden still zu halten, also den Wind manuell auszugleichen. Das wird der Computernavigation noch beizubringen sein, vermutlich wird es am besten mit Satellitennavigation machbar sein oder mit Trägheitssensoren. Hier mache ich es mit dem rechten Joystick.“

Ich werde mich an diese maritimen Einheiten gewöhnen müssen, dachte ich für mich. Ein Knoten entspricht einer nautischen Meile pro Stunde, oder präzise 1,852 km/h. Zwei Knoten gelten praktisch als Windstille, das erleichterte Herrn Klaasens Aufgabe.

„Mit dem linken Joystick steuere ich die Kamera. Sie ist nicht schwenkbar, somit kontrolliere ich nur die Zoomstufe.“

„Wie lange brauchen Sie, um die Kamera schwenkbar zu gestalten?“, fragte meine geliebte Frau.

„Nach links und nach rechts zwei Stunden. Wenn es darüber hinaus nach oben und unten gehen soll, bis morgen früh.“

„Holen Sie das Schiff ein und sehen Sie bitte bis morgen früh zu, dass es in jede Richtung schwenkbar wird. Dann filmen wir Kiros Arsch, während es sich dreht.“ Sie lächelte vielsagend.

„Vor den Augen der anderen Gäste?“, schien sich Herr Klaasen zu wundern und ich bekam eine Ahnung sowohl von dem, worauf meine geliebte Frau hinaus wollte, als auch von dem, was Herr Klaasen befürchtete. Publicity gegen Vertraulichkeit.

„Gerade auf die kommt es mir an. Und einer der Gäste werde ich sein. Und Pardel kommt mit.“

Die Berliner hatten mit dem Charme, für den sie bundesweit bekannt sind, das enorme Riesenrad, das während Herrn Nikolai Esquirol („Eskirol“ ausgesprochen, gemeinhin Kiro genannt) Zeit als Regierender Bürgermeister dicht am Zoologischen Garten gebaut worden war, schnell und dauerhaft „Kiros Arsch“ getauft. Angeblich, weil es das größte Loch weit und breit hatte oder war, da waren sich die Semantiker unter den Lästermäulern nicht einig. Das war wohl die Rache dafür, dass der einstmalig Regierende Bürgermeister der Stadt alle drei in seine Regierungszeit gefallenen Volksentscheide (die alle gegen seinen Willen initiiert wurden und sich im Ergebnis gegen seine Politik aussprachen, das heißt, er hat sie alle verloren, aber mit einer zu geringen Wahlbeteiligung, um das Ergebnis für den Senat seiner erlauchten Meinung nach moralisch zwingend zu machen) souverän mit der Ausrede ignoriert hatte, sie seien rechtlich und politisch nicht bindend. Des Weiteren hat die Niedertracht der Springer-Presse maßgeblich zur Verbreitung des Spitznamens beigetragen, so wie sie auch lange das Kanzleramt, das Helmut Kohl hatte bauen lassen, als „Schröders Waschmaschine“ verunglimpften, als ob der die Pläne dafür abgesegnet hätte! Später nannten sie das Kanzleramt „Merkels Waschsalon“, um nicht aus der Übung zu kommen, obwohl sie sonst ihre Politik unterstützten. Bei Kiros Arsch war es allerdings etwas anderes; man hatte den Eindruck, es handelte sich um eine persönliche Angelegenheit der Springer-Presse. Das Riesenrad in seiner filigranen Konstruktion stellte eines der höchsten Wahrzeichen Berlins dar, es war praktisch aus allen Teilen der Stadt heraus zu sehen, was dementsprechend im Umkehrschluss bedeutete, dass aus dem Riesenrad heraus die ganze Stadt zu sehen war. Aus der Ferne sah man die Radialstreben, die das Rad mit der Nabe verbanden, kaum; es wirkte wie ein aufrecht gestellter Ring oder, wie der Berliner sagte, wie ’n senkrechtes Loch. Das war also Kiros Vermächtnis: Zwei politisch geniale Bonmots („…und das ist auch gut so“ bzw. „Berlin ist arm, aber sexy“ – zwei Aussagen, die gut klangen, aber beide gelogen waren; natürlich, wir sprechen schließlich über einen Politiker. Es war nämlich nicht „gut so“, sondern absolut egal, dass er schwul war, und Berlin war nicht arm, sondern pleite und auch nicht sexy, sondern geil. Das ist ein kleiner, aber entscheidender Unterschied!), einen unter anderen Umständen bewundernswerten politischen Überlebenswillen (er war der einzige Regierende Bürgermeister in der Geschichte Berlins, der im Laufe seiner Regierungszeit nach und nach alle rechnerisch möglichen politischen Koalitionen durchprobierte, um an der Macht zu bleiben) und eben das größte Riesenrad Europas. Ach ja, und man verdankt ihm den Obelisk vor dem neu erbauten Berliner Schloss, diesen nannten die Berliner mit Wonne „Kiros Dildo“. Diese Bezeichnung war genauso vulgär, aber das Ding hatte dort auch nichts zu suchen, seien wir ehrlich. Nun, das ist eine andere Geschichte und lenkt jetzt nur unnötig ab. Unter diesen Umständen würden wir das Riesenrad nutzen, um an dessen Seite unser erstes Luftschiffchen zu testen, als ob es ein kostenloser Freiluftwindkanal wäre. Meine geliebte Frau und ich würden in einer Gondel neben dem Luftschiff sitzen, aus der Höhe die Flugmanöver verfolgen und Herrn Klaasen per Telefon Anweisungen geben.

„Und der Werbeeffekt wird nicht zu unterschätzen sein, wenn uns die Touristen fotografieren oder auf Video aufnehmen.“ Meine geliebte Frau freute sich sichtlich.

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