XLV. Rom

With or without religion, good people can behave well and bad people can do evil;
but for good people to do evil—that takes religion.i
Steven Weinberg

Il arrive parfois que le hasard prenne l’apparence de la justice.ii
Yves Beauchemin


Rom brennt, angezündet von der Massen, die am Stadtrand elendig hausen. Der Papst schaute aus dem Balkon seiner Residenz am Petersplatz heraus wie eine Kuckucksfigur und wurde erschossen. Amen, amen, peng! Ein peinlicher Sicherheitsfehler, der angeblich darauf zurückzuführen war, dass der Papst aufgrund des in den Vatikangebäuden herrschenden Rauchverbotes auf den Balkon hinaustreten musste, um eine zu rauchen. Das nennt man in Rom eine fumata bianca. Vom Balkon im dritten Stock des Apostolischen Palastes, demselben Balkon, von dem aus er so viele Menschen, die Stadt und die Welt so oft gesegnet hatte, tropfte sein Blut. So ungesund ist rauchen. Daraufhin marschierten die Menschenmassen auf die Zentrale der Welternährungsorganisation (FAO) zu. Seit sich die FAO mit der OPEC zusammengeschlossen hatte (wegen der Preisabsprachen im Bereich der Biokraftstoffe – jetzt wird aus Getreide Sprit und aus Erdöl werden synthetische Lebensmittel hergestellt) ist es politisch chic und angesagt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen diese Organisationen öffentlich zu demonstrieren: gegen die FAO in Rom, gegen die OPEC in Wien. Als die ersten gut gekleideten westlichen Demonstranten von den ersten in Lumpen gekleideten Slumbewohnern vom Stadtrand am frühen Nachmittag mit Macheten erschlagen wurden, filmten die Fernsehsender und übertrugen es live, bis sie merkten, dass die Bilder nicht kindertauglich waren. Manch ein Kameramann merkte zu spät, dass er sich selber in Gefahr begeben hatte. Einige Afrikaner (gut an der Hautfarbe zu erkennen) trugen nunmehr die Centuriohelme aus Kunststoff, die noch eine Stunde zuvor die nunmehr erschlagenen Häupter der Touristenfänger rund um das Kolosseum geschmückt hatten. Dazu verspiegelte Sonnenbrillen – das bedeutet: Gefahr! Wenn Meuten Sonnenbrillen tragen, sinkt die Hemmschwelle für Gewalt. Wenn sie sich verkleiden, ist die Gefahr umso größer, je absurder die Verkleidung.iii Berühmt für ihren mörderischen Sadismus waren z. B. die Straßenkontrollen in Sierra Leone in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, die gern rosarote Tutus trugen. Natürlich mit Sonnenbrillen oder noch gefährlicher: Masken. Mörder in kulturfremden Ballettkleidern. Wer in deren Fänge geriet, wurde verkrüppelt (kurze Ärmel: Hand abgehackt; langer Ärmel: Arm oberhalb der Ellenbogens abgehackt; lange Hose: Fuß abgehackt; kurze Hose: Bein oberhalb des Knies abgehackt), gefoltert, vergewaltigt (auch Männer natürlich), ermordet. Andere Mitglieder der Soldateska trugen Brautkleider, blonde Perücken, grünen oder pinkfarbenen Lippenstift.iv In Rom war dieses Vorgehen im März des Jahres 2029 ungewöhnlich, die Ordnungskräfte wussten nicht gleich, wie sie reagieren sollten und taten das Falsche: abwarten.

Es wurden viele zusätzliche Augen bestellt, die Bodencrews der TV-Sender flohen oder wurden ebenfalls massakriert. An den Bestellungen für die Augen merkten wir zum einen, dass sich etwas zusammenbraute. Es waren ungewöhnlich viele. Andererseits stellten wir fest, dass die Aktion nicht geplant war: Nicht die Randalierer und Lumpenträger bestellten die Augen, nicht einmal dann, als es längst losgegangen war, sie koordinieren sich nicht, jedenfalls nicht mit unseren Mitteln; nein, es waren die Fernsehsender, die Polizei und die Katholiken, die unsere Augen bestellten. Die Sicherheitskräfte kamen nicht durch, Barrikaden wurden errichtet, zum Teil aus übereinander geschichteten Leichen, Häuser angezündet, Brücken gesperrt – alles sehr gut von der Luft aus zu beobachten. Hotels wurden ebenso geplündert wie Luxus-Boutiquen und Billig-Supermärkte. Nach einer Woche war die ehemals „Ewige Stadt“ genannte Metropole nur noch ein rauchender Trümmerhaufen. Leichen lagen auf der Straße, brennende Autos versperrten den Weg für andere Autos oder Rettungskräfte, die nach drei Tagen Kampf ohnehin den Weg in die Stadtmitte aufgegeben hatten. Die Augen filmten aus der Höhe, die Rauchsäulen umkurvend, zwischen den Polizei- und Militärhubschraubern und übermittelten die Bilder in alle Welt. Die Einschaltquoten waren hoch, die Kommentare reichten von Schadenfreude (bei Anhängern anderer Glaubensgemeinschaften, deren Zeit noch kommen würde; sie freuten sich zu früh), Häme (z. B. bei aufgeklärten besserwisserischen Bewohnern aus Skandinavien, die demnächst dran sein würden) bis hin zu Entsetzen (bei Katholiken, Menschen, die Angehörige und Freunde verloren hatten, mitfühlenden Wesen, Gutmenschen…) und Solidarität (von armen Menschen in aller Welt, die sich den Aufständischen moralisch anschlossen). Zudem gab es viele Spanner, die Bilder waren es wert.

Meine geliebte Frau und ich schauten uns wieder nur ratlos an. Es war sehr deutlich, dass wir die große Luftjacht schnellstmöglich flügge machen mussten, aber nicht für Berberitza, sondern für uns. Wir hatten den Kontakt zu Nicco Gassi indes verloren. Er war ebenso in Rom, wollte mit Berberitza Merryodd über ebendiese, ihre bestellte (und angezahlte) Luftjacht sprechen, wir hatten jedoch seit Beginn der Ausschreitungen von beiden nichts gehört, die Moirai war längst in Flammen aufgegangen. Das hatten unsere eigenen Augen aus der Nähe und die Vendobionten aus der Höhe gefilmt.

i „Mit oder ohne Religion können gute Menschen Gutes und böse Menschen Böses tun. Aber damit sich gute Menschen böse verhalten, bedarf es der Religion.“ Im April 1999 bei der Conference on Cosmic Design of the American Association for the Advancement of Science in Washington, D.C. gehaltene Rede. Die gesamte Rede findet sich unter: http://www.physlink.com/Education/essay_weinberg.cfm#1Später in einem offenen Brief („The Constitution Guarantees Freedom From Religion“) an den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Senator Joe Liebermann zitiert, herausgegeben von der Freedom From Religion Foundation am 28. August 2000.

ii „Manchmal erscheint der Zufall im Gewand der Gerechtigkeit.“
iii Vgl. Hugo Slim, “Killing Civilians. Method, Madness, and Morality in War”, Columbia University Press, New York, 2008. S. 198.
iv Vgl. Michaela Wrong, „In the Footsteps of Mr. Kurz” Foruth Estate, London, 2000, S. 28.

 

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