All of the things we’ve taken for granted are, upon reflection, unbelievably wonderful.i
Noriyuki Namba
Buddhistischer Meister
Es stellt sich mir in dunklen, einsamen Stunden die müßige Frage, ob die Menschen etwas anderes hätten tun können, ich kam jedoch zu dem Schluss, dass sie eher anders hätten sein müssen, was natürlich von der Logik unmöglich ist: Dann wären es keine Menschen gewesen, sondern etwas anderes und wir würden über etwas anderes sprechen und nachdenken. Von oben herab gesehen, schien im Nachhinein alles unvermeidlich. Die Frage stellt sich mir weiterhin, denn immer wieder kommt mir die Antwort billig vor. Aber ich weiß zu wenig, mir fehlen Daten; ebenso weiß ich, dass ich die Frage niemals werde beantworten können, dass ich sie mir nicht stellen sollte. Ich sollte nicht so viel grübeln. Und ich tue es dennoch.
Nein: Die Welt entpuppte sich seit jeher als ungerecht, wenn man ihr als Mensch eine Ordnung, eine künstliche Struktur überstülpen wollte. Es ist nicht nur so gewesen, dass die Menschen auf groteske Art und Weise unterschiedlich waren, von Geburt aus anders ausgestattet wurden, unterschiedliche Chancen im Leben hatten; es war überdies so, dass selbst die Privilegiertesten furchtbare Schicksalsschläge erlitten, immer und immer wieder, und am Ende ist jeder gestorben. Jetzt hatte es uns alle erwischt. Vermutlich war die Chance, dass es so kommen würde, verschwindend gering. Alles ist bei genauer Betrachtung extrem unwahrscheinlich. Irgendetwas muss dennoch stets passieren. Dieses zu akzeptieren, es von ganzem Herzen anzunehmen, bildete schon die Grundlage der Tragödie im antiken Griechenland und wurde später, bis hin zu Nietzsches amor fati, gleichermaßen als Zeichen der Weisheit angesehen (jedenfalls von der Minderheit, die derartige Gedanken pflegte). Nun demnach die Erkenntnis: Es hatte wohl so kommen müssen. Mit Gerechtigkeit hat es nichts zu tun, Gerechtigkeit ist eine dem Lauf der Welt wesensfremde Kategorie.
Die Menschen haben die Erde verändert, gegen das Gegebene angekämpft, Träume gehabt. Diese Revolte wider dem Naturgegebenen ist gescheitert. Was auch immer bei dieser Auseinandersetzung gesiegt hat, wird mit den Folgen leben müssen. Das ist nicht gerecht, aber es ist so. Wertfrei.
Homer hat alles durch Epitheta beschrieben. Er empfand wohl das Wunder des Neuen, als die Welt noch jung war, er wollte alles sagen, was er sah. Selbst das Banale, das Offensichtliche. Die Schiffe waren Mal für Mal hohl, das Gras immer grün, die Mühsal natürlich schwer, das Meer selbstverständlich vieltosend, die Schafe Wolle tragend, Odysseus listenreich… Die Veden, die Bibel und der Koran waren ebenso gestrickt. Homer wunderte sich über die Welt und drückte es so aus. Manche Menschen haben die Epitheta prosaischer als Mnemotechnik angesehen in einer Zeit, in der die meisten Menschen Analphabeten waren, da mag etwas dran sein. Zuletzt waren wir letzte Menschen: alt im Geiste und blasiert, daher verabscheuen wir Redundanzen, sie verschwenden unsere kostbare Zeit. Jetzt, wo es dem Ende entgegengeht, oder genauer, wo das Ende schon vorbei ist, sehe ich die Adjektive vor mir bei jedem Objekt als Epitheta. Sie springen mir ins Auge. Die Worte werden redundant, selbstexplizit, doppelt bestimmt. Ich denke in Listen. Ich zähle bis zu fünfzig englische Wörter für Sterben, Zerstören und Tötenii: Es hieß einst, die Eskimos hätten dreißig Begriffe für Schnee, weil Schnee so prägend wichtig in ihrem Leben war, und die Ureinwohner Patagoniens fast vierzig Nuancen für windiges schlechtes Wetter, weil es ihr Leben bestimmt hat. Falls diese Aussagen stimmen und kein urban myth sind, welcher nur geglaubt wird, weil er so oft kolportiert wurde und dermaßen ben trovato klingt, was sagen dann die fünfzig Todeswörter über unsere ins angelsächsische zugespitzte Zivilisation aus? Wenn das mal keine Vorahnung ist…! Gut, dass ich nicht abergläubisch bin. Wenn man glaubt, dass Wörter per se etwas verändern können, glaubt man auch an Magie: Abrakadabra, Simsalabim, Hokuspokus, Avada Kedavra und alles wird gut!iii Ich fürchte, mein Verhältnis zu Wörtern hat manische Züge entwickelt. Das kommt daher, wenn man nur Soliloquien führt.
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