God did not make men equal. Sam Colt did.i
Jesse James (1847 – 1882)
Ali führte sich mit dem neuen Waffenarsenal richtig pubertär auf, aus dem Grund beschloss ich, alle Waffen einzusammeln und wegzusperren. Ich gab nur die Waffen frei, die wir unmittelbar für die Jagd brauchen würden – sehr wenige, da es extrem leicht war, von der Luft aus erfolgreich mit einem Zielfernrohr zu jagen. Meist reichte ein gut gezielter Schuss. Da es für uns keine direkten Bedrohungen gab, stieß meine Anordnung auf keinerlei Gegenwehr, außer bei Ali, dessen Verhalten die Entscheidung erst ausgelöst hatte. Ich bedauerte seinen Ausbruch von Waffenfetischismus, er bewunderte und reinigte oft unser Waffenarsenal von den Handfeuerwaffen über die Maschinengewehre bis hin zu den Granaten und Granatwerfern. Manchmal machte er eine Pause, um in die Luft Karateschläge zu simulieren, was mir auf die Nerven ging. Ich nehme an, diese Waffen brauchen wir nicht wirklich alle, wir haben auf dem Kriegsschiff wahllos zugegriffen. Wir merken es plötzlich alle, es war uns peinlich, jedenfalls schien es mir zunächst so, allein Ali sträubte sich dagegen, seinen Schatz herzugeben. Er schnauzte mich an.
„Hey, Mann, hast du kein Vertrauen zu mir? Meinst du, ich tue euch damit was an?“
Diesen direkten Angriff auf meine Autorität vor der versammelten Mannschaft konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, zum Glück wusste ich die anderen auf meiner Seite.
„Nein, Ali, ich habe nur Bedenken, eine dieser Waffen geht aus Versehen los. Das sind mächtige Waffen, zu mächtig. Mächtiger, als wir eigentlich brauchen. Es war ein Fehler, derart viele mit an Bord zu nehmen, und deshalb werden alle Waffen weggesperrt, die wir nicht brauchen.“
„Hey, Alter, du bist kein Mann! Du hast Angst!“
Nein, vor ihm und seinen Waffen hatte ich keine Angst, es war etwas anderes. Daher fiel es mir leicht, ruhig zu bleiben.
„Kein Mann? Dass ich nicht lache! Was ist denn für dich ein Mann? Weißt du nicht, dass es keine Männer mehr gibt? Erinnerst du dich noch an die Berggorillas?“
„Was hat das damit zu tun?“ Er fuchtelte mit den Händen, blieb aber auf Distanz. Er war irritiert.
„Das sind die Tiere, deren Weibchen samt und sonders abgeschossen wurden, weißt du noch? Es blieben nur die Männchen übrig. Mit uns ist es dasselbe.“
„Was? Und was ist mit Beata und mit deiner Frau?“
„Eine Frau ist ein Mensch, der Kinder gebären kann. Beata und meine Frau sind hierfür inzwischen zu alt. Du hast doch selber neulich gesagt, sie taugt nicht zur neuen Eva. Also, was ist ein Mann, wenn es keine Frauen mehr gibt?“
Keine Antwort. Ich fuhr fort:
„Jeder ist jetzt, was immer er zu sein meint, was immer er fühlt und denkt. Ein Mann jedoch muss er nicht mehr sein, kann er nicht mehr sein. Jeder ist ab sofort allein.“
Schweigen. Nach einer Weile setzte ich nach:
„Jeder ist auf sich gestellt. Und niemand hat auf meinem Schiff Waffen zu tragen. Mit Waffen spielt man nicht!“
Ich fing an, die vielen herumliegenden Waffen einzusammeln. Ich würde mehrere Male ins Waffendepot gehen müssen; Klaus, Sven Maven und sogar Herr Augsburger halfen mir demonstrativ, Ali blieb stumm stehen. Dann packten meine geliebte Frau und zu guter Letzt auch Nicco und Beata mit an. Bevor ich den Raum als Erster verlies, drehte ich mich nochmals um und schloss:
„Ich werde weiterfliegen, so lange es geht. Das ist mein Schiff und ihr seid alle willkommen, wenn ihr euch an die Regeln, meine Regeln, haltet. Wer das Schiff verlassen will, braucht es nur zu sagen. Ich setzte jeden dort aus, wo er möchte. Ich lege niemandem Steine in den Weg, ganz im Gegenteil. Wer will, kann, bevor wir ihn absetzen, auf der ganzen Welt sammeln, was er meint zu brauchen, und wir werden es für ihn mitnehmen.“
„Auch Waffen?“, fragte Sven Maven, mit einem versöhnlichen Lächeln Richtung Ali blickend, nicht in meine. Ich antwortete trotzdem, ernst:
„Auch Waffen und Munition, so viel die Hyperborea tragen kann, aber nicht an Bord.“
Damit drehte ich mich um und wir schleppten allesamt, einschliesslich Ali, in mehreren Fuhren sämtliche Waffen in ein kleines Zimmer unten neben dem Ladedeck.
Später, als meine geliebte Frau und ich allein in unserem Zimmer waren, fragte ich sie:
„Wir waren schon vor einigen Tagen an Bord der USS Enterprise. Wenn jemand eine Waffe hat behalten wollen, hat er genug Zeit gehabt, sie an sich zu nehmen und zu verstecken. Meinst du, ich sollte meine Autorität geltend machen und alle Zimmer durchsuchen?“
„Nein, ich glaube nicht, dass du damit Autorität vermittelst. Eher im Gegenteil. Und wenn jemand eine Waffe haben sollte, kann er sie immer so verstecken, dass du sie im Zweifelsfall nicht findest, das wäre auf Dauer nicht wirklich beruhigend. Übrigens, und das weißt du selber am besten, ist die Hyperborea in Leichtbauweise gebaut. Die Zwischenwände aus Aerogel dämmen hervorragend den Schall und die harte Oberflächenbeschichtung vermittelt einen sehr soliden Eindruck, aber mit einem einfachen Küchenmesser oder einem beherzten Tritt ist das Waffenlager jederzeit zu knacken. Wer will, kann da ohne Probleme einbrechen.“
Da hatte sie recht. Das einzige, was an der Hyperborea solide war, war der Boden. Für die nächsten Tagen nahm ich mir in dieser Angelegenheit nur eines vor: nach und nach Waffen und Munition in zwei unterschiedliche Räume zu bringen. Die großen Kaliber und die Granaten und Granatenwerfer würde ich aus dem Fenster werfen. Nach einigem Schweigen fuhr meine geliebte Frau fort:
„Ich wollte es dir nicht vor den Anderen sagen, aber ich finde es nicht schön, wenn du mich auf eine Gebärmaschine reduzierst. Ich bin auch jetzt noch eine richtige Frau.“
„Menschlich, sozial und dem Äußeren nach zu urteilen, auf jeden Fall. So wie ich immer noch ein richtiger Mann bin, irgendwie. Aber was hätte ich Ali denn sagen sollen. Es sollte deeskalierend auf ihn wirken. Immerhin, es hat geklappt. Ich weiß selbst nicht, warum ich ausgerechnet das gesagt habe.“
„Er ist ein guter Junge, vermutlich hast du es gesagt, weil er sicher eine Freundin vermisst. Unsere Lage ist für ihn in seinem Alter nicht leichter zu ertragen als für uns. Eher im Gegenteil. Das weißt du.“
Ja, ich schätze, das ist mir bewusst. Allerdings kann ich nichts für seine Situation. Sven Maven ist ebenfalls zu bedauern, obwohl er nie über seine Frau spricht. Er ist nicht mehr fröhlich, das merkt man. Er ist wortkarg und oft niedergeschlagen.
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