Wir sehen immer wieder inkongruente Tiere an der falschen Stelle. Hatte ARABIS als Losung vor dem Ende die Anweisung gegeben, so viele Tiere wie möglich zu befreien? Oder kamen die Tiere woanders her? Waren sie aus Zoos ausgebrochen oder aus Privatwohnungen, in denen sie als Haustiere gehalten wurden? Viele würden sich jedenfalls zu Plagen entwickeln, die meisten dagegen nicht überleben – das ist gewöhnlich so, wenn man versucht, in ein natürliches Biotop hinzupfuschen. Ein Biotop gibt es zu jeder Zeit, aber anders, als man sich das gedacht hat. Australier können davon ein Lied singen, ich sage nur: Kaninchen, Katzen und Aga-Kröten. Bei kleineren Inseln, Hawaii etwa, ist es ein Trauermarsch gewesen. Jetzt profitieren Ratten und Katzen. Hunde gehen weltweit flächendeckend vor die Hunde, von einigen Ausnahmen abgesehen. Was mache ich, wenn Foc stirbt? Die Katzen lassen sich ersetzen, aber selbst die chilenischen Hunde mit dem angeborenen Instinkt für die Schafzucht – so jedenfalls die Meinung der Schäfer, die sie gezüchtet haben – werden sich unkontrolliert vermehren und demnächst mangels Herden keine Schafe mehr hüten können. Hündinnen können schon in ihrem siebten Lebensmonat läufig werden, bis zu zwölf Welpen pro Wurf auf die Welt bringen; zwei Würfe pro Jahr sind normal, acht Jahre lang können sie „belegt“ werden, wie die professionellen Hundezüchter sich früher ausdrückten, in der Natur – ohne Kontrolle – sogar noch länger, wenn sie denn lang genug leben. Das geht so lange weiter, wie es ausreichend zu fressen gibt, dann bricht alles schlagartig in sich zusammen. Der Selektionsdruck wird enorm. Hunde vermehren sich zu erfolgreich, um langfristig eine Chance zu haben. Schafe in der Herde schätzen sich glücklich, weil sie bisher dem Hund entkommen konnten. Sie wissen nicht, dass die Hunde abgerichtet sind, sie nicht zu fressen. Es ist jedoch sehr stressig, heute werden die Hunde nicht mehr zurückgehalten. Viele haben noch die Befehle ihrer ehemaligen Schäfer verinnerlicht, ihre Nachkommen indes werden keine Erinnerung an den Menschen behalten. Nach und nach sterben die älteren Hunde aus. Das erhöht den Stress für die verbliebenen Schafe. Besonders nach einigen Jahren, in denen sie nicht geschoren wurden. Seitdem es keine Menschen mehr gibt, die auf die Hunde aufpassen, entkommen sie denen auch nicht immer. Wenn sich die chilenischen Hunde weiter vermehren, wird es irgendwann keine Schafe mehr geben, denn die Hunde fressen langsam aber sicher mehr von ihnen auf, als nachgeboren werden. Sie vermehren sich eine Zeit lang schnell, bis ihre Population zusammenbricht: Ein Mutterschaf bringt ein, höchstens zwei Schafe pro Saison zur Welt, bei Hunden sind es exponentiell viel mehr Welpen und sofern es genug Futter gibt, kommen die meisten Welpen durch. Spätestens dann, wenn es keine Schafe mehr gibt, werden auch diese Hunde eingehen. Das gibt vielleicht Rangkämpfe! Ein paar Vikunjas werden die stärksten Hunde noch jagen, aber nicht in Herden halten können. Vikunjas können besser in steilerem Gebiet klettern als Hunde, folgerichtig werden sie diesen darwinistisch nicht vorgesehenen Angriff abwehren. Nehme ich an. Zur Zeit sieht es gut für sie aus. Wir fliegen weiter. Foc wedelt mit dem Schwanz, schaut nach unten, würde gern ausgeführt werden. Ob er die läufigen Hündinnen bis hier oben riecht?
Solche Beobachtungen sprechen wir ständig aufs Neue am Tisch an; wenn man uns zuhört, könne man meinen, uns gehen die Themen aus oder wir sind auf die Tiere unserer Umwelt fixiert. Um diese Zeit herum wetterte Beata Nalga Maloumie eines Abends wieder einmal gegen die Menschheit und die Folgen, die sie hinterlassen hatte. Sie echauffierte sich heftig über die Ausrottung so vieler Spezies, seit dem Neolithikum ginge das so, immer wäre es unsere Schuld gewesen. Sven Maven meinte hingegen:
„Das ist ein Missverständnis, wie bei den Dinosauriern. Die Leute glaubten, dass sie am Ende der Kreidezeit ausgerottet wurden; es heißt, es sei ein Meteorit gewesen. Ja, es sieht aus, als hätte ein Meteorit die letzten Dinosaurier ausgelöscht. Aber die meisten Dinosaurier waren bereits vorher ausgestorben. Ganz natürlich und von allein. Die Erde gehörte ihnen lange genug!“
„Natürlich sind viele Dinosaurierarten im Laufe der 170 Millionen Jahre, die sie auf der Erde leben durften, ausgestorben. Viele, weil sie sich verändert haben. Sie sind ausgestorben, wie alle Vorfahren der Menschen ausgestorben sind: der Homo erectus, die verschiedenen Australopithecina, der Neandertaler… Dennoch gab es immer eine Fortsetzung. Nach dem Meteoriten hingegen blieben keine Dinosaurier übrig und auch nach uns wird die Welt viel ärmer sein. Ist sie ja bereits!“
„Nach dem Meteoriten blieben die Vögel, sie sind unsere heutigen Dinosaurier. Aber der Diplodocus, der Brontosaurus meiner Kindheit, der heute nur noch Apatosaurus heißen soll, und die riesigen Sauropoden, alle waren vor 65 Millionen Jahren bereits längst ausgestorben.“
„Ja, das gehörte zur natürlichen Entwicklung. Heute hingegen sind wir der Grund dafür, dass derart viele Arten aussterben. Wir zerstören die Säugetiere“, wiederholte Beata erneut. Mir reichte es. Sie hatte ja recht, aber es nutzte nichts. Ich mischte mich ein:
„Wir zerstören nicht die Säugetiere, wir zerstören die Umwelt. Was du sagst, ist Säugetier-zentrierter Rassismus. Andere Phyla sterben auch aus: die großen Fische, die Amphibien… Ob die heute noch eine Chance haben, wo wir weg sind?“
„Ich meine ja nur, dass es gut ist, wenn der Mensch verschwindet. Aus dieser Feststellung ergibt sich leider keine positive Handlungsanweisung, aber jetzt, wo ohnehin alle anderen tot sind oder sich verstecken, bleibt uns nur, dafür zu sorgen, dass möglichst viel von der Zerstörung, die wir angerichtet haben, wieder gutgemacht wird.“
„Das ist jetzt deine private Religion“, erwiderte ich. „Mir ist das Opfer, das du forderst, zu groß. Ich will im Verschwinden der Menschheit keinen Sinn erkennen. Zufall reicht mir als Erklärung, es ist für mich tröstlicher als deine an den Haaren herbeigeholte tierfreundliche Teleologie. Ich habe nichts gutzumachen, ich kann nur überleben. Das sollte unser Ziel sein.“
„Nur durch unser Verschwinden kann die Evolution weiter operieren!“
„Quatsch!“, dachte ich und Sven Maven murmelte es laut vernehmbar. Nicco mischte sich jetzt auch noch ein:
„Alles Zufall? Ohne Erklärung? Das kann nicht sein, alles hat einen Sinn!“
„Blödsinn!“, ergänzte Sven Maven meine Gedanken erneut. Niccos Bemerkung war pubertär, sein Denken grenzte an Dummheit und Sven Maven sagte es deutlich. „Du bist ein Träumer und das ist das Dümmste, was man in unserer Lage sein kann!“
„Wenn ihr von höheren Tieren sprecht“, fügte ich hinzu, „dann zeigt es nur, dass ihr Evolution anders versteht als ich.“
„Dann verstehst du sie falsch!“, schloss Beata die Debatte. Mehr war nicht zu sagen. Außer, dass sie irrte.
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