Beata Maloumie hatte sich seit dem Unfalltod unserer beiden Kinder vor nunmehr bereits vier Jahren an meine geliebte Frau geheftet – so empfand ich es jedenfalls im Nachhinein mit kühler Distanz. Sie hatten sich bei der Therapiegruppe kennengelernt, eben jener Therapiegruppe, die mir nicht behagte und bei der ich mich gleich nach dem ersten Besuch geweigert hatte, sie je wieder zu besuchen. Ich mache so etwas nicht mit, das ist ja wohl klar. Nicht, weil ich ein Mann bin, der so etwas nicht nötig hat; nicht, weil ich meine Gefühle unter Kontrolle habe und keinen Beistand brauche; nicht, weil ich nicht dran glaube – obwohl ich in der Tat nicht im Geringsten daran glaube, dass eine Therapie diesen Schmerz überwinden kann; nein, sondern aus dem einfachen Grund, dass ich Therapeuten nicht traue. Für meine Einstellung zeigte meine geliebte Frau großes Verständnis, aber sie bestand darauf, sich diese Besuche zu gönnen, sofern „gönnen“ das richtige Wort in einer solchen Situation sein kann, weil sie sich davon eine Linderung ihrer Seelenpein erhoffte. Dafür zeigte ich wiederum Verständnis. Viel später dämmerte es mir, dass man den Therapeuten nicht trauen muss, ganz allgemein nicht trauen sollte, ja, durchaus, dass man aber bei den Mittherapierten noch vorsichtiger sein muss. Manche besuchen die Selbsthilfegruppen einzig und allein aus dem Grund, dass es dort verletzte Menschen gibt. Traumatisierte Menschen sind, so jedenfalls deucht mir im Rückblick das Kalkül mancher Seelenfänger, besonders empfänglich für Sekten und Verwandtes und lassen sich leichter ausbeuten. Verletzte Menschen sind verletzlicher. Wir waren es gleichermaßen.
Ich will damit nicht angedeutet haben, dass Frau Maloumie, mittlerweile seit langem nur noch Beata für meine geliebte Frau, eine Betrügerin gewesen sei. Auch keine Seelenjägerin im Auftrag der Aberglaubologie oder Ähnliches. Ich meine bloß, sie hat meine geliebte Frau zu einem für sie sehr schwierigen Zeitpunkt kennengelernt. Das ist alles. Ihr Einfluss auf meine geliebte Frau war nicht negativ; sie hat für keine Sekte und für keine anerkannte Religion die Werbetrommel gerührt, sie wollte kein Geld für keine vermeintlich gute Sache. Sie hing nur bei meiner geliebten Frau herum, bis wir uns an sie gewöhnt hatten. Ich steckte sie in die mentale Schublade für Therapieschatten, eine Schublade, die ich eigens für sie zimmerte. Zuletzt habe ich sie kaum noch wahrgenommen, da erschien es normal, dass sie uns beim Aufbau der neuen Firma behilflich war. Zuerst erledigte sie Schreibarbeiten und galt als Sekretärin, aber diese Bezeichnung missfiel ihr, daher nannten wir sie bald Informatikerin. Sie half meiner geliebten Frau mit der neuen Software. Später wurde sie Medien- und Public Relations-Beauftragte. Dieser Titel gefiel ihr sehr. Sie hat, der Meinung bin ich heute noch, damals in der Therapie nichts von dem geplant, was sie in den nächsten Jahren ausnutzen würde. Sie konnte nicht wissen, was wir in Zukunft machen würden. Die Medien sprachen immer wieder über Schläfer-Zellen und ähnlich paranoide Verschwörungen. Soviel kriminelle Energie hatte Frau Maloumie nicht und schon gar nicht die Ausdauer, diese über Jahre zu verfolgen, mit wechselnden Zielen noch dazu! Sie hat nur ihre Chance wahrgenommen, als diese sich bot.
Frau Maloumie war recht klein, ungefähr Mitte fünfzig, färbte sich die kurzen Haare rot, tönte sich die Augen mit Kontaktlinsen grün, zupfte sich die Brauen dünn und schminkte sich Sommersprossen auf die Wangen. Die Stummelnägel ihrer Finger, von denen allein der Daumennagel mehr als doppelt so breit wie lang war, lackierte sie für gewöhnlich in einem rötlichen Braunton, oft trug sie einen bläulichen Lidschatten (kann auch lila gewesen sein). Wenn sie von Natur aus so ausgesehen hätte, wie sie es den Großteil der Zeit tat, hätte man zugeben müssen, sie sei eine attraktive Frau, jedenfalls sofern sie Handschuhe trug oder die Hände in die Taschen steckte. Bei der offensichtlichen Mühe war ich mir nicht so sicher.
Später erfuhr ich, dass ihr vollständiger Name, bevor sie versuchte, ihn zu ändern, Beata Nalga Maloumie lautete. Als ich mitbekam, was Nalga auf Spanisch heißt, verstand ich sofort, warum sie diesen zweiten Namen nicht benutzte. Es wunderte mich nur, dass kein japanischer Autohersteller auf die Idee gekommen war, eines seiner Modelle so zu benennen.
Sie hatte einen rechthaberischen Zug an sich, der lange oder tiefgreifende Unterhaltungen ausschloss. Mit mir jedenfalls. Obendrein neigte sie zum Gutmenschentum, was bei mir eine instinktive Abneigung hervorruft. Sie hatte wohl auch ihre Traumata zu überwinden, ja, wer hat die nicht? Ihre Sublimation derselben wandelte sich im Laufe der Jahre nach und nach von der sozialen Gerechtigkeit zunächst zu Fairness gegenüber der Dritten Welt (das war die Zeit, in der sie versuchte, ihren Namen in Favela zu ändern, was die deutschen Standesämter leider nicht zuließen; ich hätte es lustig gefunden, was Beata komischerweise als kränkend empfand, dabei war es doch ihre Idee! Und dabei habe ich ihr gar nicht ins Gesicht gesagt, dass mir der Name Vuvuzela für sie viel passender vorkam…) und zuletzt zum Tierschutz. Im Prinzip ist gegen keines dieser Themen etwas einzuwenden. Ihre zunehmende verbale Verbissenheit ging mir auf die Nerven. Gutmensch, rechthaberisch, verbissen. Das hält man doch nicht aus.
Hätten wir in der Tat nicht aushalten sollen, soviel ist im Nachhinein klar. Wir haben sie unterschätzt. Wir haben weggehört. Wir haben sie nicht ernst genommen. Dafür sollten wir noch zahlen.
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